von Isabella Paiano - Meine Ur-Ur-Grossmutter schrieb am 10. September 1874

September 05, 2021Heike Felber
  1. September 1874: Aus dem Tagebuch der Ur-Urgrossmutter

Heute war Waschtag. Die Elvira, das faule Luder, hat sich mal wieder vor der Arbeit gedrückt. Die Maria hat ausgeholfen, was einerseits erfreulich war und andererseits von ihr wieder eingefordert wird, wenn sie Hilfe braucht. So ist das unter Nachbarn. 

Der Lausebengel des Nachbarn, der Michael, hat einen Moment der Unachtsamkeit ausgenutzt und die gesamte Seife in den Siedetopf geworfen! Wie ich da also eifrig die Wäsche im Kessel mit der Waschkelle rühre, schäumt das Waschwasser unaufhörlich weiter und ein Teppich aus blubbernden und blitzenden und platzenden weissen Blasen ergiesst sich über den Hof!

Die Hühner sind in irrer Panik herumgerannt und mussten von Ludwig wieder eingefangen werden. 

Die Kühe standen im Schaum und guckten blöd. Vielleicht dachten sie, ihre Milch sei ausgelaufen.

Verstehe einer die Rindviecher! 

Verstehe einer das Federvieh! 

Verstehe einer die Jungs! 

Hat doch der Ludwig jedes gefangene Huhn geschüttelt, dass es ganz starr und steif wurde, um es dann in schöner Reihe auf die Zaunpfosten zu setzen! Das war ein Bild! 

Der Waldi ist ganz irre geworden ab der Hühner auf dem Zaun, und auf seinen kurzen Dackelbeinchen wie rasend laut bellend den Zaun entlang hinauf- und hinabgerannt. Dabei ist er in der Seifenlauge ständig ausgerutscht und alle Nase lang hineingefallen, hat geniest und sich geschüttelt und versucht, die Seife wieder abzulecken, was zu noch mehr Niesen und Schütteln und Ausrutschen führte! 

Von dem Zeug bekommt der arme Kerl bestimmt Durchfall! Der Hund kommt mir heute nicht ins Haus, der schläft im Stall! Da kann er mich mit seinem sprichwörtlichen Dackelblick noch so bezirzen!

Inzwischen ist das Feuer unter dem Kessel vom Seifenschaum erloschen und beim Versuch, es wieder anzuzünden, bin ich ausgeglitten wie eine Watschelente auf dem gefrorenen Teich! 

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen und die Bengels haben sich die Bäuche gehalten vor Lachen! Zu ihrem Glück hatte ich die Waschkelle nicht griffbereit, sonst hätte ich ihnen einen grosszügigen Satz blaue Flecken auf den Hintern verpasst!

Wie also das absolute Tohuwabohu ausgebrochen ist auf dem Hof, fährt natürlich ausgerechnet der Sohn des Bürgermeisters bei uns vor. Sein Blick war so irgendwie zwischen dämlich und dümmlich. Kopfschüttelnd hat er den Kutscher angewiesen, wieder weiter zu fahren. Und der wollte der Grete den Hof machen? Das Mädel kann froh sein, wenn sie einen Besseren findet! Einen, der bei einem Unglück nicht so deppert guckt, sondern mithilft und mitlacht.

Jedenfalls wollte mir die Grete dann wieder auf die Beine helfen. Die kam ganz zufällig zur gleichen Zeit vom Feld zurück, wie der Sprössling vom Bürgermeister hier vorfährt. Ich sage ja nichts, aber denken darf ich mir meinen Teil!

Selbstverständlich ist auch die Grete nicht glimpflich davongekommen und auf dem schmierigen Boden ausgerutscht. Wie zwei Stockbesoffene haben wir uns an den Händen gehalten und gegenseitig gestützt, um aufzustehen. Unsere Röcke haben ausgesehen, als hätten wir sie der Vogelscheuche auf dem Feld abgenommen!

Inzwischen sind die steifen Hühner wieder erwacht. Eines hat in der Aufregung auch noch ein Ei gelegt! Mitten in die Seifenblasen! Das habe ich mir zu Abend in die Pfanne gehauen. Es war das sauberste Ei, das ich je gesammelt habe, und es hat glücklicherweise sehr gut geschmeckt, gar nicht nach Seife.

Morgen schicke ich die Bengels ins Dorf, Seife kaufen. Ich muss waschen.

Geschrieben von: Isabella Paiano

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